Persönlicher Zwischenruf: Ändern Sie Ihr Leben – JETZT!?

Ich engagiere mich seit vielen Jahren in der Weiterbildung und Wiedereingliederung langzeitarbeitsloser Mitmenschen. Regelmäßig halte ich dazu Seminare und versuche, bedingt durch meinen eigenen Lebenslauf und die vielen Neuanfänge, zu motivieren und Tipps für eine erfolgreiche Bewerbung zu geben. Oft gehen die von den Ministerien und Fördermittelgebern vorgeschriebenen Inhalte am Teilnehmer vorbei.

Unter der Überschrift „Berufliche Weiterbildung. Kurse außer Kontrolle“ schrieb SPIEGEL Online Anfang Mai: „Die Arbeitsagentur gibt jährlich Milliarden für berufliche Weiterbildungen aus. Doch was ist, wenn die Kurse nichts taugen?“ (der Artikel ist hier verlinkt). Ich möchte an dieser Stelle aus eigener Erfahrung als Kursleiterin Folgendes hinterfragen: Was ist, wenn die Kurse am Bedarf der zugewiesenen Teilnehmer komplett vorbeigehen? Da werden Inhalte vorgegeben, in denen Menschen, die teilweise viele, viele Jahre ohne Arbeit sind, die sich praktisch auch aufgegeben haben, keine Ziele mehr sehen und mutlos durch den Tag gehen, aufgefordert, innerhalb von 8 Stunden „Lebensperspektiven  zu entwickeln“ . Für ein solches Thema braucht es Zeit, Vertrauen, Vorarbeit und  auch für den Kursgeber bedeutend mehr an Hintergrundinformationen, um sich auf die unterschiedlichen Gegebenheiten einstellen zu können. Andererseits sollen Teilnehmer, die ganz unterschiedliche Voraussetzungen haben, und sich nicht kennen, und auch den Kursleiter zum ersten Mal sehen, über sehr persönliche Dinge sprechen wie „Allgemeine Körperhygiene“ …

Die meisten Menschen, die in den Kursen vor mir sitzen, haben schon eine lange Odyssee hinter sich, sind oft enttäuscht worden, und wissen, dass ein Großteil derartiger Weiterbildungen ihnen praktisch nicht weiterhelfen kann und wird. Viele Arbeitslose haben diese Kurse schon mehrfach besucht und müssen dennoch wiederholt an der „MASSNAHME“ teilnehmen, da ihnen sonst das Geld gestrichen wird. Entsprechend ist natürlich dann auch deren Motivation, sich einzubringen. Ich gebe in diesen Runden mein Bestes und nutze aktiv mein eigenes Unternehmernetzwerk, um wenigstens dem einen oder anderen  eine Einarbeitung oder Probearbeiten im Rahmen seiner Möglichkeiten zu organisieren. Und es gibt kleine Erfolge: Tatsächlich konnte ich im April-Seminar mit einem Teilnehmer eine super Bewerbung anfertigen – und er bekam eine Einladung zum Gespräch. Großartig, wie er sich gefreut hat!

Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, würde ich mir wünschen, daß jemand die Teilnehmer VORHER fragt, und ihnen zuhört, und erkennt, was der Einzelne tatsächlich an Schulungsbedarf hat. Denn schließlich geht es nicht darum, den Einzelnen nur für einen Tag „von der Straße“ oder aus der Statistik zu holen, sondern tatsächlich neue Lebensperspektiven aufzuzeigen und zu entwickeln. Ein Leben ändert man nicht in 8 Stunden …

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